EuGH-Generalanwalt stärkt Verbrauchern im Abgasskandal den Rücken: Hersteller haften bei „Thermofenster“ auf Schadensersatz

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Die deutsche Rechtsprechung versagt teilweise den gebotenen Verbraucherschutz. Dabei haben die Gerichte indessen oftmals das Europarecht nicht im Blick. Dieses Spannungsverhältnis war bereits in vielen Rechtsbereichen zu beobachten. Jetzt bahnt sich auch im Dieselskandal aufgrund europarechtlicher Vorgaben eine Niederlage für den Bundesgerichtshof und die Autoindustrie an. Denn der EuGH-Generalanwalt stellte in seinen Schlussanträgen am 02.06.2022 deutlich heraus, dass Erwerber eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung auch bei fahrlässigem Handeln der Hersteller einen Ersatzanspruch haben müssen. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) in aller Regel den Schlussanträgen folgt, steigen die Chancen, gegen VW, Audi, Porsche, Fiat und andere Hersteller Schadensersatz durchzusetzen, ganz erheblich.

Die Rechtsprechung des BGH zur temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung, dem sog. „Thermofenster“, ist mittlerweile als gefestigt anzusehen. Wenn Betroffene des Dieselskandals in gerichtlichen Verfahren ihren Vortrag hierauf beschränken, gibt es regelmäßig keinen Schadensersatz wegen einer sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB.  

Ansicht des BGH: Thermofenster als solches nicht sittenwidrig

Dabei können die Gerichte mit dem BGH zugunsten der Autobesitzer sogar unterstellen, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Eine sittenwidrige Schädigung setzt nach Ansicht des BGH zudem voraus, dass die verantwortlichen Personen des jeweiligen Herstellers bei der Entwicklung bzw. Verwendung des „Thermofensters“ in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Genau dies verneint der BGH mit Blick auf eine – angeblich – zweifelhafte Rechtslage hinsichtlich der Zulässigkeit des Thermofensters im Zeitpunkt des Inverkehrbringens der Fahrzeuge.

Vorlage an den Europäischen Gerichtshof durch das LG Ravensburg

Wie die meisten anderen Gerichte in Deutschland, ging auch das Landgericht Ravensburg in einem Schadensersatzverfahren gegen die Daimler AG, die jetzige Mercedes-Benz Group AG, im Ausgangspunkt davon aus, dass mangels Vorsatzes wohl keine Haftung nach § 826 besteht. Damit stelle sich aber die Frage einer deliktischen Haftung wegen fahrlässigen Handelns. Diese würde nach deutschem Recht wiederum voraussetzen, dass die Unionsregelung über die EG-Typgenehmigung, nach der solche Abschalteinrichtungen verboten seien, auch darauf abziele, die Interessen eines individuellen Erwerbers zu schützen. Deshalb setzte das LG Ravensburg am 12.02.2021, 2 O 393/20, das Verfahren aus, um durch den EuGH klären zu lassen, ob die Regelung auch individualschützenden Charakter hat.

EuGH-Generalanwalt bejaht Drittschutz contra BGH

Der Bundesgerichtshof hatte bereits Mitte 2020 einen sog. Drittschutz der Normen der europarechtlichen Verordnung verneint, so dass der Vorlagebeschluss des LG Ravensburg von Seiten der Hersteller ein wenig belächelt worden ist. Der Mut des dortigen Richters wurde aber belohnt und der Autoindustrie dürfte das Lachen demgegenüber vergangen sein.

Der EuGH-Generalanwalt Rantos erteilte in seinen Schlussanträgen am 02.06.2022 der Sichtweise des BGH eine klare Absage. Die Unionsregelung über die EG-Typgenehmigung schütze sehr wohl die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Fahrzeugs, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu erwerben. Denn mit der EG-Übereinstimmungsbescheinigung versichere der Hersteller dem Erwerber, dass das von ihm erworbene Fahrzeug die Anforderungen des Unionsrechts erfüllt. Der Generalanwalt beim EuGH stellte zudem heraus, dass Erwerber eines Fahrzeugs mit einer solchen Abschalteinrichtung einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller haben müssen.

Chancen im Dieselskandal steigen weiter für Verbraucher

Wir gehen davon aus, dass der EuGH der Auffassung des Generalanwalts, wie so oft, folgen wird. Dies würde sodann eine ganz wesentliche Erleichterung bei der Inanspruchnahme von VW, Audi, Porsche, Fiat und anderen Herstellern wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen bedeuten.

Bei dem aus den Ausführungen des Generalanwalts folgenden Schadensersatzanspruch genügt Fahrlässigkeit. Ein sittenwidriges – vorsätzliches – Handeln ist gerade keine Voraussetzung. Auch die deutschen Instanzgerichte, die der Rechtsprechung des BGH teils einigermaßen unreflektiert gefolgt sind, werden sich an dem zu erwartenden Urteil des Europäischen Gerichtshof zu orientieren haben. Damit wird es kaum noch möglich sein, berechtigte Ansprüche von Betroffenen des Dieselskandals mit dem oft ungeprüften Argument fehlenden Vorsatzes zurückzuweisen.

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